Ich melde mich zu Wort

Mitarbeiterführung

Ich habe einen meiner älteren Artikel ausgegraben. Er setzt sich mit der Mitarbeiterführung in der Heimerziehung auseinander und ist in der Zeitschrift UNSERE JUGEND 01/97 im Ernst Reinhardt Verlag veröffentlicht worden.

Mich hat beim Lesen insbesondere erschreckt, dass meine über 20 Jahre alten Überlegungen zum Teil immer noch Praxis und außerdem auch auf Einrichtungen der Behindertenhilfe zu projizieren sind. Ich habe den Aufsatz ein wenig an die heutigen Schreibweisen angepasst, den Inhalt aber nicht verändert.

 Mitarbeiterführung – Ein Stiefkind der Heimerziehung!? – von Rainer Holsten 

  1. Einleitung

Seit Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema; erstens, weil ich selbst in einer Leitungsfunktion arbeitete und zweitens, weil ich immer wieder feststellen musste, dass die Verantwortlichen in der Heimerziehung Gefahr laufen, die drohenden Zeichen der Zeit zu übersehen. Nachfolgende These von Klaus-Rainer Martin, Heimleiter in Reinfeld, hat mich letztlich zu meinem Aufsatz veranlasst:

„In der aktuellen Diskussion werden Vokabeln wie ´Beziehungsgestaltung, Menschenbild, Werte, Normen und Ziele, berufsethisches Handeln, Lebensqualität, Lebensweltorientierung´ abgelöst und durch ein technokratisches Vokabular wie `Produktbeschreibung, Dienstleistung, Controlling, Budgetierung, Output-Orientierung´ ersetzt. Damit verändert sich nicht nur die Sprache, sondern gleichzeitig auch das erzieherische Denken und Handeln.“1)

In einer Zeit, in der die pädagogische Arbeit unter Zeitdruck abläuft -viele Jugendämter gehen rigoros dazu über, bei jungen Heranwachsenden 21 Jahre als Kappungsgrenze der Förderung durchzusetzen, einer Zeit, in der die öffentlichen Mittel immer knapper gemacht werden, kommt die Heimerziehung einfach nicht daran vorbei, Managementbegriffe und insbesondere -techniken anzuwenden. Unverständlich erscheint es deshalb, wenn Führungskräfte in dieser Situation einen notwendigen wirtschaftlichen Bezug ablehnen und immer noch das aktuelle Management by Versuch und Irrtum als stabile wirtschaftliche Grundlage für eine sinnvolle pädagogische Arbeit betrachten.

Ein markantes Beispiel hierfür ist die Mitarbeiterführung. Träger (öffentliche oder private), Heimleiterinnen und Heimleiter, Erziehungsleiterinnen und Erziehungsleiter o.ä. Leitungsfunktionäre, die es eigentlich besser wissen sollten, die in der Lage sind (sein sollten), sozialpädagogische Methoden zur Erziehung der ihnen anvertrauten Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden anzuwenden und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu vermitteln, machen sich bei aller Wichtigkeit dieser Arbeit keine Gedanken über ihr wichtigstes Kapital, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Man kann keine Bereitschaft erkennen, sich mit entsprechendem Knowhow, geschweige denn mit der Anwendung vertraut zu machen.

Hohe Personalfluktuation findet ihre Ursache nicht ausschließlich in ungünstigen Arbeitszeiten, schlechter Bezahlung oder Frustration durch die Betreuten. Wir sollten uns die tägliche psychische Belastung z.B. einer Erzieherin/eines Erziehers vor Ort deutlich vor Augen führen; und obendrauf legen verantwortliche Vorgesetzte ihre Unzulänglichkeiten. Es reicht im Dienstalltag eben nicht aus, auf einer freundschaftlichen Ebene miteinander zu verkehren oder sich zu duzen.

Ich möchte in diesem Aufsatz die Wichtigkeit der professionellen Mitarbeiterführung in der Heimerziehung verdeutlichen und anhand von Beispielen versuchen, Missstände aufzuzeigen.

Mitarbeiterführung als Managementterminologie macht damit auch deutlich, dass Management-techniken und Pädagogik in der öffentlichen Ersatzerziehung kein Widerspruch sein müssen und wird den falschen Denkansatz des Eingangszitates aufzeigen.

  1. Mitarbeiterführung

Es soll hier nicht mit zu vielen theoretischen Überlegungen gelangweilt werden, es ist aber  notwendig, Mitarbeiterführung definitorisch zu skizzieren und einen Bezug zur Heimerziehung herzustellen.

Mitarbeiterführung wird häufig mit Menschenführung gleichgesetzt. Das ist inhaltlich auch nicht falsch, nur beziehen sich die Tätigkeiten der Mitarbeiterführung speziell auf die Vorgesetzten-/Mitarbeiter-Beziehung.

Führung als Wortteil des Begriffes Mitarbeiterführung definiert das Gabler-Wirtschafts-Lexikon wie folgt:

„Führung. 1. F. als Funktion: Vielfalt an Definitionen, z.B.: (1) zielorientierte soziale Einflussnahme zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben (Wunderer/Grundwald). (2) Führung als Prozess umfasst die Willensbildung und Willensdurchsetzung unter Übernahme der hiermit verbundenen Verantwortung und umfasst die Funktionen Planung, Steuerung und Kontrolle (Hahn). (3) Führung heißt jemanden in Bewegung auf ein Ziel halten (Häusler/Demmel). (4) Verhaltensbezogene Steuerung und Gestaltung des Unternehmensgeschehens (Wild). …2).

In diesem Zusammenhang muss natürlich von einer/m Führerin/Führer und einem Geführten ausgegangen werden. Die/der Führerin/Führer (die Führungs-/Leitungskraft) leitet bzw. bewegt den Geführten (den/die Mitarbeiterin/Mitarbeiter) in Richtung auf das Unternehmensziel. Der Prozess der Führung beinhaltet also die Willensbildung und eine verhaltensbezogene Steuerung der Geführten durch die/den Führerin/Führer. Diese Ansicht zeigt zunächst einmal deutlich, wie wichtig das Verhalten des Vorgesetzten in der Beziehung zu seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist.

Die normalerweise zu nennenden Führungsstile und Management by-Techniken können in diesem Aufsatz ohne Erwähnung bleiben, da sie zum Verständnis nicht notwendig sind.

Akzeptiert man die o.g. Definition des Begriffes Führung für den Ausdruck Mitarbeiterführung, muss hier noch festgestellt werden, worauf die Mitarbeiterführung abzielt und was sie bewirken soll. Unternehmensziele werden durch die Unternehmensführung vorgegeben und veranlassen die nachgeordneten Vorgesetzten, den Arbeitsablauf zu planen und zu organisieren. Die einzelnen Tätigkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen koordiniert und die Ergebnisse kontrolliert werden. Dass jedoch Mitarbeiterführung – insbesondere in der Heimerziehung – mehr umfasst, sollen nachfolgende Überlegungen zeigen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lassen sich nicht organisieren, da sie trotz unserer Massengesellschaft Individuen sind. Sie müssen daher soweit gebracht werden, dass sie bei vorgegebener Heim-Konzeption ihre pädagogischen Fähigkeiten im Sinne der Betreutenförderung  sinnvoll einbringen. Über-/Unter-forderung muss verhindert werden, Fort- und Weiterbildung dient der Aufrechterhaltung der Arbeitskraft und das richtige Personal muss am richtigen Ort eingesetzt werden. Diese rationale Aufgabenstellung muss durch einen wichtigen emotionalen Teil ergänzt werden. Sympathien oder Antipathien gegenüber Kolleginnen und Kollegen und Vorgesetzten oder Launen, Vorlieben und Niedergeschlagenheit beeinflussen die Arbeitskraft, die Leistungsfähigkeit. Fehlende Motivation oder mangelndes Vertrauen zu Vorgesetzten oder Uneinsichtigkeit bei Entscheidungen der Unternehmensführung können fatale Folgen für die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und damit für die Betreuten haben.

Ein/e effektiv arbeitende/r Vorgesetzter muss also in der Lage sein, sowohl den rationalen als auch den emotionalen Teil seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu berücksichtigen, d.h. er darf nicht nur Technokrat sein, sondern vielmehr der personalbezogene Führende. „Insbesondere Likert (1961, 1967) suchte in seinen Arbeiten zu zeigen, dass Mitarbeiterführung sowohl auf der Leistungs- als auch auf der Zufriedenheitsdimension dem leitungsorientierten Führungsverhalten überlegen ist.“3)

Führungskräfte sind durch ihre exponierte Stellung richtungsweisend für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und damit – in diesem Fall – für das Heim und die Betreuten.

„Der Manager ist kein Universalgenie oder Allroundman, der alles weiß und kann.“4) Viele Vorgesetzte in der Heimerziehung scheinen aber genau diesen Sachverhalt zu glauben, wenn man den verbalen Feststellungen und dem alltäglichen Dienstgebaren Glauben schenken will. Aber, die Führungskraft muss Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führen können. Das beinhaltet neben einer ausgefeilten Kommu-nikationstechnik sicher auch die Kenntnisse um gruppendynamische Prozesse und Abläufe zwischenmenschlicher Beziehungen. Die Schwierigkeit für jeden Vorgesetzten in der Heimerziehung liegt in der Tatsache, dass auch zum Instrumentarium der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese Kenntnisse gehören. Der Vorgesetzte ist hier also noch mehr gefordert, als in Unternehmen, die sich nicht mit der Dienstleistung Erziehung  befassen.

Eine Führungskraft, die ihre Aufgaben erfolgreich bewältigen kann (muss), um effizient im Sinne einer professionellen Heimerziehung zu führen, muss nicht nur einen überdurchschnittlichen Stand an Wissen und Kenntnissen  mitbringen, sondern es auch verstehen, dieses theoretische Instrumentarium zielgerecht in die Praxis umzusetzen. Neben dem schon beschriebenen Wissen um gruppendynamische Prozesse und psychologische Kenntnisse im Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, muss ein Vorgesetzter erkennen können, welche Folgen sein spezielles Handeln bei seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auslöst. Wichtig erscheint auch die Erkenntnis, dass nicht nur das Kollegium von seinen Vorgesetzten abhängig sind, sondern eine Abhängigkeit des Vorgesetzten von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegeben ist.

„Zum Führer wurde man nicht gemacht, man kam als solcher auf die Welt und wurde durch einen unergründlichen Prozess seiner Berufung zugeführt.“5) behaupten nicht nur Nanus und Benin, sondern leider immer noch zu viele Inhaber von Leitungsfunktionen in der Heimerziehung und blockieren damit die eigenen Entwicklungsmöglichkeiten zu einem guten Vorgesetzten.

  1. Kritische Bestandsaufnahme

Hier soll nicht zu einer allgemeinen und umfassenden Vorgesetztenschelte ausgeholt werden, da bekannt ist, dass doch viele Kolleginnen und Kollegen in Führungspositionen sich der Wichtigkeit einer sinnvoll angewendeten Mitarbeiterführung im o.g. Sinne bewusst sind und die Anwendung beherrschen.

Überwiegend wird der Heimalltag jedoch immer noch vom ziellosen, ja hilflosen, Machtpfründe erhaltenden Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geprägt.

Anhand einiger Führungsinstrumente wie z.B. Informationsfluss oder Entscheidungsfindung sollen Fehler aufgezeigt werden und zum Umdenken anregen.

3.1. Information

Wissen beschreibt Macht; deshalb erscheint es notwendig, mehr Informationen zu besitzen als die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Damit lässt sich ohne großen Aufwand die eigene Wichtigkeit ständig unterstreichen.

Das KJHG fordert u.a. eine Helferkonferenz z.B. vor Aufnahme eines Kindes in das Heim. Teilnehmer sollten regelmäßig Eltern, Kind (?), Vertreter des Jugendamtes und die/der Heimleiterin/Heimleiter des aufnehmenden Heimes sein. Notwendige Informationen werden ausgetauscht, Erziehungsziele festgelegt und der Aufnahmetermin besprochen. Beim Gruppenpersonal kommen dann nur noch durch die Heimleitung gefilterte Informationen an. Der Aufnahmetermin ist häufig die konkreteste Information. Die zuständige Erziehungsleiterin/der zuständige Erziehungsleiter entwickelt im Idealfall einen Erziehungsplan, der dann in der Regel unreflektiert vom Erziehungspersonal auszuführen ist.

Wenn ich meine gesammelten Informationen für jeden Fall weitergeben sollte, da könnte ich die Erziehungsarbeit ja gleich selber übernehmen. Diese Aussage von Vorgesetzten wird zwar nicht offiziell ausgesprochen, ist aber landläufige Meinung. Hier das richtige Maß zu finden, und das muss an dieser Stelle deutlich hervorgehoben werden, ist eine sehr wichtige Aufgabenstellung gerade für Leiterinnen und Leiter in der Heimerziehung. Die Aufgabe erfordert sehr viel Zeit, die aber jede/r Vorgesetzte durch Delegation von Routine-Alltagsabläufen (Aufgabe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) einsparen kann (Zeitmangement/Arbeitsorganisation).

Dieses Fehlverhalten ist als Technokratie zu bezeichnen, die eine sinnvolle Erziehungsarbeit fast im Keim erstickt – Kinderverwaltung?

Eltern, Kind und Jugendamt sollen in diesem Zusammenhang nicht näher betrachtet werden. Die Heimleitung in der Vorgesetztenrolle ist in diesem Beispiel die Zentralfigur. Je nach Fähigkeit und persönlicher Eignung gibt sie/er mehr, häufig weniger Informationen an seine unterstellten Bereiche weiter. Dadurch wird viel Arbeitskraft und Zuwendung für das betroffene Kind mit dem verzweifelten Versuch vergeudet, den richtigen Weg der Erziehung zu finden. Zudem behält sich die Heimleitung die Macht der Information als Reserve, die es ihr/ihm ermöglicht, seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seine überragenden pädagogischen Fähigkeiten zu demonstrieren, indem sie/er im Nachhinein zwangsläufige Fehler und mögliche Lösungsmöglichkeiten, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort zeitig hätten anwenden können, wenn sie umfassend informiert gewesen wären, aufzeigt. Beschrieben wurde bewusst ein ziemlich unsinniges Verfahren, das aber leider immer wieder zu beobachten ist, das gegenüber den anvertrauten Kindern, die unsere Hilfe dringend brauchen, verantwortungslos zum Tragen kommt.

3.2. Entscheidungsfindung

Jede/r Vorgesetzte weiß um die Wichtigkeit, ihre/seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Entscheidungen zu beteiligen. Dabei geht es in der Praxis nicht um die Notwendigkeit, aus vielen Meinungen oder Ideen eine möglichst ideale Lösung zu finden, sondern vielmehr um die Notwendigkeit, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Entscheidungen des Vorgesetzten mittragen müssen, damit sie überhaupt umsetzbar werden.

Das bedeutet, dass die/der Vorgesetzte, mit Vorliebe wird dieses Verfahren auf der Heimleiterebene oder bei den Trägern praktiziert, ihre/seine Entscheidung fällt, sie den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Teamsitzungen (der Wortteil Team wird dabei zur Farce) als vermeintliche Vorschläge unterbreitet und seine gesamte Argumentationskraft darauf verwendet, Ideen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mitnichten auch noch überdacht werden, vom Tisch zu fegen. Irrwitzigerweise nimmt diese/dieser Vorgesetzte auch noch an, Führungsqualitäten zu besitzen und seine Mitarbeiter überzeugt zu haben.

Reiner Czichos beschreibt in seinem Buch Creaktivität & Chaos-Management, dessen Inhalt jede/r Vorgesetzte m.E. verinnerlichen und anwenden können sollte, diese Tatsache wesentlich treffender: „Geheimhaltung, dann Überraschung, dann Kaltschnäuzigkeit, dann das Abwälzen der Problemen auf den Mitarbeiter. …“6).

In einem Produktionsbetrieb würde die daraus resultierende Unlust der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (z.B. Dienst nach Vorschrift, erstickte Kreativität u.ä.) zu finanziellen Verlusten durch die Nichterfüllung von Aufträgen oder Ausschuss o.ä. führen. Wenn es ganz schlimm wird, ist das Ergebnis ein Konkurs. Aber was bedeutet das gegen die fatalen Folgen in der Heimerziehung. Man erhebt den Anspruch, Kinder, Jugendliche und Heranwachsende in die Normalität unserer Gesellschaft zu reintegrieren; unfähige Vorgesetze können aufgrund des hier beschriebenen Verhaltens diesen Anspruch zu Nichte machen und begehen m.E., wenn auch indirekt, ein Verbrechen an den uns anvertrauten Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden und machen das unterstellte Personal  zu Mittäterinnen und Mittätern wider Willen.

Allein dieses Beispiel verdeutlicht m.E. beeindruckend, wie eng Managementkriterien im Zusammen-wirken mit  pädagogischer Arbeit stehen.

3.3. Motivation

Motivation, das Angetriebensein, etwas zu bewegen, Ideenreich zu arbeiten, innovative Kräfte freizusetzen, bringt jede/r pädagogische Mitarbeiterin/Mitarbeiter aus der Berufswahl und Ausbildung mit in das Heim. Wozu soll also eine Vorgesetzte/ein Vorgesetzter diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch motivieren? Es geht  in diesem Abschnitt nicht um das Motivieren, sondern um die Tatsache, dass sich überschätzende Vorgesetzte durch ihre Art des Umgangs mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die vorhandene Motivation zerstören können. Wenn der Laden läuft (d.h. es gibt keine Probleme, mit denen man sich unnötigerweise beschäftigen muss), geht die/der Vorgesetzte doch davon aus, dass er seine Führungsarbeit gut gemacht hat. Es scheint völlig überflüssig zu sein, das Kollegium vor Ort, das die eigentliche pädagogische Arbeit leistet, zu loben oder auf die Schulter zu klopfen, ihm zu sagen: Das hast Du gut gemacht!  Die/der Mitarbeiterin/Mitarbeiter braucht die Anerkennung von Kollegen und insbesondere von Vorgesetzten, denn anders als im produzierenden Gewerbe sieht sie/er in der Regel kein endgültiges Ergebnis ihrer/seiner Arbeit (Output), das sie/ihn zufrieden sein lässt. Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld oder Treueprämien vermögen nicht annähernd so motivierend zu sein, wie ein geäußertes Lob bei angebrachten Gelegenheiten oder einfach im Dienstalltag. Ist doch einfach, oder? Höchstes Lob, das  landauf und landab bekannt ist, manifestiert sich in der Aussage: Das haben W i r aber gut hinbekommen! Die/der Vorgesetzte impliziert, dass nicht die Leistung der Mitarbeiterin, des Mitarbeiters gut war, sondern dass diese Kollegin, dieser Kollege ohne Führung überhaupt nicht in der Lage gewesen wäre, Aufgabenstellungen selbständig zu lösen.

Dagegen beherrschen alle Vorgesetzten die Suche nach Kritikpunkten. Fehler sind in diesem Beruf aber auch viel einfacher zu finden als über den eigenen Schatten zu springen. Aber man hat ja gelernt, die Arbeit zu reflektieren und wird deshalb bei banalen Fehlern auch zu der Erkenntnis kommen, dass die/der Vorgesetzte Recht hat und die Arbeit insgesamt nicht in Ordnung ist oder war. Zufrieden ist aber nur die/der Vorgesetzte, die/der sein Führungsinstrumentarium falsch angewendet hat und dennoch glaubt, seinen Laden im Griff zu haben. Sie/er hinterlässt einen motivationalen Trümmerhaufen, der jedes Engagement, jede Kreativität und jede Innovation brutal erstickt.

Viele Sozialmanagerinnen und Sozialmanager, die ansatzweise ihr Handeln reflektieren oder zumindest glauben es zu tun, werden sich regelmäßig wundern, warum die sozialpädagogische Arbeit so dahin-plätschert und als einzige Erklärung dazu finden, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Beruf ausgebrannt sein müssen. Aber alle auf einmal???

     4. Ergebnis

Als Vorgesetzte/r wird man nicht geboren, Leitungsfunktionen müssen gelernt werden und sind erlernbar. Die Ausbildung mag teuer sein, ist jedoch eine lohnende Investition, weil zufriedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gute pädagogische Arbeit leisten. Ein so gestaltetes Umfeld schafft Lebensqualität und Orientierung für die Betreuten in einem entspannten Umfeld. So können die individuellen sozialen Probleme der Jugendlichen bewältigt werden.

Die Dienstleistung Heimerziehung führt zu positivem Output (und nicht zum Auswurf) und kann zudem werbewirksam die immer noch ahnungslose Öffentlichkeit von der Existenzberechtigung von Heimerziehung überzeugen. Außerdem kann ein intaktes sozialpädagogisches Arbeitsfeld mit seinen Außenwirkungen verhindern, dass man in absehbarer Zeit Personalnachwuchsprobleme bekommen wird.

Es muss Herrn Martin Recht geben werden, die Sprache hat begonnen, sich zu ändern, aber erzieherisches Denken und Handeln wird sich dadurch wohl kaum verändern. Im Gegenteil, und das kann und muss eigentlich immer wiederholt werden, Managementvokabular (technokratische Vokabular?) muss bei verantwortungsbewussten Führungskräften mehr bedeuten als nur Vokabular.

Verantwortungsträger in der Heimerziehung erwarten Personal, wie es in Anlehnung an eine Stellenausschreibung in der Wochenzeitung DIE ZEIT treffend beschrieben wurde:

Der Übermensch

tröstet, spielt, backt, kocht, bastelt, singt,

organisiert, plant, improvisiert,

erzieht, hört zu, schaut zu und schmust.

Er zeigt Ausdauer, Fröhlichkeit, Freundlichkeit und Einsatz.

Er ist selbstlos, teamfähig und Selbstkritik gegenüber immer aufgeschlossen und dabei immer zufrieden.

Mit anderen Worten:

Er ist

eine/ein ganz normale/r Erzieherin/Erzieher!7)

Diesem Übermenschen begegnet Ihr verehrten Vorgesetzten jeden Tag in Eueren Heimen, Ihr müsst ihn nur erkennen und ihn pflegen, damit Ihr ihn behaltet.

  1. Anregungen

Mitarbeiterführung ist für  Pädagogen eigentlich doch sehr einfach, wäre man nur bereit, eigene Fachkenntnisse einzusetzen. Eine Führungskraft in sonstigen Wirtschaftsunternehmen ist Kaufmann, Ingenieur o.ä. und muss Führung mühsam erlernen, hier dagegen muss nur gelernt werden, pädagogischen Fähigkeiten und Fertigkeiten umzusetzen.

Abschließend sollen einige Anregungen gegeben werden, ohne den Anspruch zu erheben, die/den perfekten Vorgesetzte/n darzustellen – vorbildlich sein reicht schon:

Interesse zeigen an der Arbeit der Kolleginnen und Kollegen z.B. bei Besuchen, nicht Angst und Schrecken verbreiten.

Lob ist nicht nur bei herausragenden Leistungen angebracht.

Kritik dient nicht dem Niedermachen (der Mitarbeiterin/dem Mitarbeiter muss das Gefühl vermittelt werden, dass sie/er etwas falsch gemacht hat, aber die Erziehungsleiterin/der Erziehungsleiter usw. wird helfen, Fehler zu vermeiden) oder der Demonstration einer nicht vorhandenen Überlegenheit.

Verantwortung übertragen und bewusst und gezielt das Risiko eingehen, dass ein Projekt anders funktioniert, als es sich die/der Vorgesetzte vorgestellt hat.

Informationen umfassend weitergeben. Keine Angst, die Vorgesetzten laufen nicht Gefahr, am eigenen Stuhl zu sägen. Angst davor zu haben, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser sind als man selbst (in ihrem Fachgebiet sind sie es!!!), hemmt eigene Aktionen.

Problemlösungen sollten nicht ausschließlich im Büro gesucht werden – vielleicht sogar mit dem Schreibtisch dazwischen (Hierachiedemonstration). Gerade in diesem Feld ist es doch wichtig, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen, z.B. Essengehen. Dieser Weg führt zu besseren Ergebnissen als Befehl und Gehorsam.

 

Gut, werden Sie, liebe Leserin/lieber Leser, richtigerweise feststellen, diese Techniken und Verhaltens-weisen kennt ja jeder. Es liegt also nur in der Umsetzung der Kenntnisse !? 

________________________________________

Anmerkungen

1) Klaus-Rainer Martin

Thesen zur Fragestellung

Wird die Erziehungshilfe fremdbestimmt?

in:

Unsere Jugend 10/1995, Seite 411

2) Gabler-Wirtschafts-Lexikon

Taschenbuch-Kassette mit 6 Bd.

Wiesbaden 1984, Spalte 1625

3) Stoll, F. (Hrsg.)

Die Psychologie des 20. Jahrhunderts

Bd. XIII

Anwendungen im Berufsleben, Arbeits-,

Wirtschafts- und Verkehrspsychologie

Zürich 1981

Seite 813

4) Dachrodt, H.-G.

Management und Menschenführung

Köln 1976

Seite 41

5) Benin, W.; Nanus, B.

Führungskräfte, Die vier Schlüsselstrategien

erfolgreichen Führens

Frankfurt/M., NewYork 1985

Seite 14

6) Reiner Czichos

Creaktivität & Chaosmanagement

München, Basel 1993

Seite 94

7) in Anlehnung an eine Stellenausschreibung

DIE ZEIT vom 08.04.1993

 

Darüber hinaus wird folgende Literatur empfohlen:

Rainer Czichos Coaching München, Basel 1991

und vom gleichen Autor (oben schon genannt)

Creaktivität & Chaosmanagement München, Basel 1993